Kurz, Heinz D. (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens. Band 1: Von Adam Smith bis Alfred Marshall. München 2008 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-57357-6 360 S. € 14,95

Kurz, Heinz D. (Hrsg.): Klassiker des ökonomischen Denkens. Band 2: Von Vilfredo Pareto bis Amartya Sen. München 2009 : C.H. Beck Verlag, ISBN 978-3-406-57372-9 387 S. € 14,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, Bundeskartellamt, Bonn

In der akademischen Ökonomik sind nicht nur in Deutschland zwei gegenläufige Entwicklungen festzustellen. Einerseits wird der Geschichte des ökonomischen Denkens – traditionell als Dogmengeschichte bezeichnet – in der Lehre zunehmend weniger ausdrückliche Bedeutung beigemessen. So werden diesbezügliche Veranstaltungen aus den Curricula gestrichen oder Lehrstühle für Dogmengeschichte umgewidmet. 1 Andererseits hat sich eine darauf spezialisierte, zunehmend internationale Forschergemeinde entwickelt, die sich in eigenen Vereinigungen organisiert und Konferenzen, Journals und Schriftenreihen etabliert hat. Zu nennen sind hier die 1974 gegründete History of Economics Society mit dem Journal of the History of Economic Thought (JHET), die 1995 gegründete European Society for the History of Economic Thought mit dem European Journal of the History of Economic Thought (EJHET) oder der 1980 gegründete Dogmenhistorische Ausschuss im Verein für Socialpolitik mit seinen regelmäßig erscheinenden Tagungsbänden. 2

Das hier zu besprechende Werk stammt auch aus diesem Umfeld. Der derzeitige Vorsitzende des Dogmenhistorischen Ausschusses Heinz D. Kurz von der Karl-Franzens-Universität Graz fungiert nicht nur als Herausgeber der beiden Bände, sondern zeichnet auch für die fünf Beiträge über William Petty, David Ricardo, Johann Heinrich von Thünen, Hermann Heinrich Gossen und Piero Sraffa verantwortlich. Aus den Reihen des genannten Ausschusses stammt augenscheinlich auch die überwiegende Mehrheit der beitragenden Autoren. Dies gilt besonders für den ersten Band, der in chronologischer Manier die älteren Klassiker von William Petty (1623-1687) bis zu Alfred Marshall (1842-1922) behandelt. Für den zweiten Band kommt mit Wulf Gaertner, Martin Hellwig, Manfred J. Holler, Hans-Jürgen Wagener und Carl Christian von Weizsäcker eine Reihe von anderen namhaften Hochschullehrern als Autoren hinzu, die passenderweise gerade die jüngeren Klassiker wie die noch lebenden Paul A. Samuelson, Kenneth J. Arrow und Amartya Sen behandeln. Diese Mischung lässt eine hohe Sachkenntnis der Autoren und eine anregende Lektüre erwarten. Diesen hohen Erwartungen werden die beiden Bände ohne Zweifel gerecht.

Im Einzelnen enthalten die beiden Bände jeweils achtzehn Kapitel, wenn man im ersten Band auch das vom Herausgeber verfasste Einführungskapitel mitzählt (Bd. 1, S. 9ff.). Heinz D. Kurz erläutert darin den Zweck der (Befassung mit) Theoriegeschichte und äußert sich knapp zur Auswahl der als Klassiker aufgenommen Ökonomen sowie zu alternativen Quellen zum Studium der Theoriegeschichte, wie Kurz den Gegenstand des Buchs vorzugsweise bezeichnet. Die weiteren Kapitel folgen einem weitgehend einheitlichen Muster. Sie sind jeweils genau einem Ökonomen gewidmet und in drei Abschnitte zu Leben, Werk und Wirkung gegliedert. Die einzige Ausnahme stellt der Beitrag von Manfred J. Holler dar, der erklärtermaßen in erster Linie das Buch „Theory of Games and Economic Behavior“ aus dem Jahr 1944 und nur in zweiter Linie dessen Verfasser John von Neumann und Oskar Morgenstern behandelt (Bd. 2, S. 250ff.). Damit einher geht eine etwas abweichende Gliederung speziell dieses Beitrags.

Auch wenn der Inhalt und der Stil der einzelnen Kapitel naturgemäß variieren, können insgesamt alle Beiträge als gelungen gelten. Der Leser erfährt jeweils etwas über den Lebenslauf und die -umstände der behandelten Ökonomen sowie über ihren Beitrag zur Entwicklung des Fachs und ihre Wirkung, die teilweise bis zur Gegenwart reicht. Positiv hervorzuheben ist zudem, dass die Klassiker differenziert betrachtet werden, und es werden durchaus auch einzelne Schwachpunkte in ihren Werken angesprochen. Exemplarisch sei dies anhand des gelungenen Beitrags von Stephan Böhm über Friedrich August von Hayek (1899-1992) gezeigt (Bd. 2, S. 228ff.). Gerade die Rezeption von Hayek ist bedauerlicherweise oftmals sehr einseitig. So ist unter Liberalen – Ökonomen und anderen – die Tendenz verbreitet, Hayek allzu positiv darzustellen. 3 Gleichzeitig wird er von bestimmten „linken“ Wissenschaftlern und Publizisten oftmals undifferenziert auf seine Kritik an sozialpolitischen und anderen Staatseingriffen reduziert und als Verfechter eines Minimalstaats dargestellt. Demgegenüber gelingt es Böhm, den Klassiker Hayek in der ganzen Breite seiner wissenschaftlichen Arbeiten und den darin enthaltenen Wandlungen und auch Widersprüchen zu erfassen. So geht Böhm ausführlich auf Hayeks Arbeiten zur Geld-, Konjunktur- und Kapitaltheorie aus den 1920er- und 1930er-Jahren ein und bettet sie in die damaligen Diskussionszusammenhänge ein (Bd. 2, S. 233-238). Auch stellt er die zentrale „Entdeckung“ heraus, die Hayek selbst als Hauptergebnis seiner lebenslangen Forschungen ansah, und zwar die Informations- und Koordinationsfunktion von wettbewerblichen Märkten und insbesondere dem Preissystem (Bd. 2, S. 238-242). Ebenso deutlich stellt Böhm allerdings für die Zeit ab den späten 1930er-Jahren „eine allmähliche Entfremdung vom herrschenden Selbstverständnis der Ökonomik“ und „eine konsequente Mißachtung der Entwicklungen im Fach“ heraus, die letztlich zu einer „jahrzehntelange[n] intellektuelle[n] Isolation“ (Bd. 2, S. 243 und 244) geführt hätten. Verantwortlich dafür seien auch Hayeks „Predigten“ gegen Sozialismus und jede Form des Kollektivismus, für die er spätestens mit dem weithin beachteten Buch „The Road to Serfdom“ (auf deutsch: Der Weg zur Knechtschaft) aus dem Jahr 1944 bekannt wurde. Schließlich weist Böhm auf eine gravierende Inkonsistenz in Hayeks Argumentation gegen Staatseingriffe und zentrale Planung hin (auch Bd. 2, S. 243f.). Es sei nämlich nicht auszuschließen, dass diese Formen ebenfalls das Ergebnis eines evolutionären Prozesses und als solche positiv zu bewerten seien.

Über die einzelnen Beiträge hinaus sind einige Bemerkungen zur Auswahl der im Buch behandelten Klassiker zu machen. Diese erscheint insgesamt akzeptabel, auch wenn man über einzelne Namen streiten könnte, weil sie entweder wider Erwarten darunter sind oder – vielleicht noch wichtiger – weil sie keine Berücksichtigung fanden. Verglichen mit dem 1989 erschienen Vorgängerwerk fällt zunächst der Verzicht auf antike und mittelalterliche „Vorläufer“ der Ökonomie wie Platon oder Thomas von Aquin auf.4 Bemerkenswert, wenn auch nicht gänzlich überraschend, ist weiterhin die Schwerpunktsetzung auf deutsche Klassiker, die jedenfalls in einem vergleichbaren angelsächsischen Werk nicht (alle) auftauchen würden. Dies gilt besonders für die im ersten Band behandelten Johann Heinrich von Thünen (1783-1850), Friedrich List (1789-1846), Hermann Heinrich Gossen (1810-1858), Gustav Schmoller (1838-1917) und Carl Menger (1840-1921) sowie für Walter Eucken (1891-1950) aus dem zweiten Band. Ebenso auffällig ist sicherlich die Aufnahme von Pierro Sraffa (1898-1983), den der Herausgeber selbst behandelt, sowie von Thorstein B. Veblen (1857-1929). Umgekehrt lässt sich leicht eine Liste von bedeutenden Forschern zusammenstellen, zu denen Beiträge fehlen. Dazu zählen etwa Augustin A. Cournot, Francis Y. Edgeworth, John R. Hicks, Jan Tinbergen, Joan V. Robinson, Robert M. Solow und Gérard Debreu, um nur einige der am nächsten liegenden Namen zu nennen. Derartige Lücken sind allerdings wohl unvermeidlich und können den überaus positiven Gesamteindruck auch nicht schmälern. Insgesamt sind die beiden Bände jedem an der Geschichte des ökonomischen Denkens Interessierten sehr zur Lektüre zu empfehlen. Sie sind fundiert geschrieben und bieten vielfältige Einsichten in das Leben und Werk der Klassiker des Fachs.

Anmerkungen:
1 Vgl. neben der Einführung des Herausgebers in Band 1 auch Jürgen Backhaus, Theoriegeschichte - Wozu? Eine theoretische und empirische Untersuchung, in: Fritz Neumark (Hrsg.), Studien zur Entwicklung der ökonomischen Theorie III, Berlin 1982, S. 139-167; Mark Blaug, No History of Ideas, Please, We're Economists, in: Journal of Economic Perspectives 15 (2001), S. 145-164; Bertram Schefold, Reflections on the Past and Current State of the History of Economic Thought in Germany, in: E. Roy Weintraub (Hrsg.), The Future of the History of Economics, History of Political Economy. Annual Supplement 34 (2002), S. 125-136.
2 Vgl. die Websites der genannten Vereinigungen unter <http://historyofeconomics.org/>, <http://www.eshet.net/> und <https://www.uni-hohenheim.de/wi-theorie/indexvfs.htm>.
3 Als ein Beispiel kann die Biografie auf der Website der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft e. V. gelten unter <http://www.hayek.de/biographie-friedrich-a-von-hayeks>.
4 Vgl. Joachim Starbatty (Hrsg.), Klassiker des ökonomischen Denkens. Bd. 1 Von Platon bis John Stuart Mill und Bd. 2 Von Karl Marx bis John Maynard Keynes, München 1989.

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